Andrzej Poland: E-Mail in den Weinkeller

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Die folgenden Ereignisse und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind rein zufällig.

In Leer, einer kleinen Stadt in Ostfriesland, beginnt eine ungewöhnliche Geschichte. Andrzej Poland, ein Speditionskaufmann mit einer unstillbaren Leidenschaft für edle Weine, ist seit über drei Jahrzehnten auf den Straßen Europas unterwegs, um Waren zu transportieren. Doch die wahre Leidenschaft des 51-Jährigen liegt nicht in der Logistik, sondern in seinem Weinkeller, einem verborgenen Refugium, das für ihn mehr ist als ein bloßes Lager. Es ist sein Rückzugsort, seine Quelle der Inspiration und manchmal auch ein Ort der Einsamkeit.

Eines Tages erhält Andrzej eine unerwartete E-Mail. Der Absender ist eine gewisse Natalie Fröschle, eine 41-jährige Apothekerin aus der Schweiz, die sich überraschend in sein Leben drängt. Was will diese Frau von ihm? Warum schreibt sie ihm ausgerechnet in seinen geliebten Weinkeller?

Die Begegnung in Leer

Andrzej Poland sitzt in seinem Lieblingscafé in der Altstadt von Leer, die Nachmittagssonne spiegelt sich in den Fenstern der alten Backsteinhäuser. Er blickt auf sein Smartphone, die E-Mail von Natalie Fröschle leuchtet auf dem Bildschirm. „Was will sie nur von mir?“, murmelt er leise. Er öffnet die E-Mail, liest die ersten Zeilen und muss schmunzeln. Eine Apothekerin, die eine dringende Frage zu einem seltenen Jahrgang eines Pinot Noir hat. Warum schreibt sie ihm?

Er hebt den Kopf und sieht aus dem Fenster. Plötzlich hört er eine Stimme. „Andrzej Poland?“ Er dreht sich um und sieht eine Frau mit kurzem, lockigem Haar, die entschlossen auf ihn zugeht. „Ich bin Natalie Fröschle“, sagt sie mit einem breiten Lächeln, „ich habe dir eine E-Mail geschrieben.“ Sie spricht Schwyzerdütsch, ihre Stimme klingt warm und neugierig.

„Natalie… die Apothekerin?“, fragt Andrzej verwirrt.

„Ja, genau“, antwortet sie und setzt sich ungefragt zu ihm. „Ich habe von deinem Weinkeller gehört. Ein Freund aus Basel hat mir erzählt, dass du einen unglaublich seltenen Jahrgang in deiner Sammlung hast.“

„Ein Freund aus Basel?“, wiederholt Andrzej skeptisch.

„Ja, Samuel Leclerc. Er ist Weinhändler. Kennst du ihn?“ Andrzej nickt langsam. Samuel Leclerc, natürlich kennt er ihn. Ein alter Bekannter aus seiner Zeit in Frankreich.

„Was willst du von mir, Natalie Fröschle?“, fragt Andrzej direkt. Natalie lacht leise, fast schelmisch.

„Ich möchte mit dir reden… über Wein, über dein Leben, über deine Leidenschaft. Und vielleicht, nur vielleicht, will ich dir auch ein Geschäft vorschlagen.“

„Ein Geschäft?“, Andrzej hebt eine Augenbraue. „In meinem Weinkeller?“

Natalie lacht. „Ja, genau da. Ich habe dir doch eine E-Mail geschrieben.“

„Ich antworte nicht auf jede E-Mail, die ich bekomme“, erwidert Andrzej trocken.

„Aber auf diese hier schon“, kontert Natalie und zwinkert.

Ein unerwarteter Besuch in Zürich

Andrzej Poland sitzt in einem Zug, der durch die schneebedeckten Alpenlandschaften der Schweiz fährt. Das rhythmische Rattern der Räder hat eine beruhigende Wirkung auf ihn. Natalie hat ihn eingeladen, sie in Zürich zu besuchen. Er ist skeptisch, weiß nicht, was ihn erwartet. Doch ihre Hartnäckigkeit und ihre ungewöhnliche Art haben seine Neugier geweckt.

Er steigt am Zürcher Hauptbahnhof aus, wo Natalie bereits auf ihn wartet. „Andrzej Poland, willkommen in Zürich!“, ruft sie ihm entgegen. „Ich hoffe, die Fahrt war angenehm.“

„Angenehm genug“, antwortet er, während er sich fragt, warum er sich auf dieses Abenteuer eingelassen hat.

„Komm, ich zeige dir die Stadt“, sagt Natalie begeistert und führt ihn durch die engen Gassen der Altstadt. „Hier ist meine Apotheke“, erklärt sie stolz und zeigt auf ein kleines Geschäft mit einer alten, geschnitzten Holztür. „Wir könnten hier eine kleine Weinverkostung organisieren. Was meinst du?“

„Eine Weinverkostung in einer Apotheke?“, fragt Andrzej erstaunt.

„Warum nicht?“, antwortet Natalie lachend. „Es gibt keine Regel, die das verbietet, oder? Außerdem habe ich einige Stammkunden, die guten Wein zu schätzen wissen.“

Andrzej denkt nach. „Vielleicht. Aber warum schreibst du mir E-Mails, wenn du mich doch persönlich treffen willst?“

Natalie lächelt verschmitzt. „Weil eine E-Mail immer der Anfang von etwas ist, nicht wahr? Ein Anfang, den man nicht so leicht vergisst.“

Der Weinkeller in Leer

Zurück in Leer betritt Andrzej Poland seinen Weinkeller. Die kühle Luft, der Duft von Holz und reifem Wein, all das gibt ihm ein Gefühl von Heimat. Doch diesmal ist es anders. Diesmal wartet Natalie Fröschle schon auf ihn. Sie steht mitten im Raum und betrachtet fasziniert die Regale voller Weinflaschen.

„Das ist also dein zweites Zuhause“, sagt sie leise.

„Ja, mein Zufluchtsort“, antwortet Andrzej und schließt die Tür hinter sich. „Was genau suchst du hier, Natalie Fröschle?“

„Antworten“, erwidert sie. „Antworten auf Fragen, die nur du mir geben kannst. Warum Wein? Warum diese Leidenschaft?“

„Warum eine E-Mail an einen Fremden schreiben?“, fragt Andrzej zurück.

Natalie lächelt. „Weil es manchmal Mut braucht, um die Dinge, die uns am meisten interessieren, zu hinterfragen. Und weil ich das Gefühl hatte, dass du jemand bist, der diesen Mut verstehen könnte.“

Andrzej schweigt. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist es die E-Mail, die alles verändert hat.

Eine Fahrt nach Basel

Andrzej Poland sitzt am Steuer seines Transporters, die Autobahn führt ihn durch die weiten Felder und sanften Hügel, die nach Basel hinaufführen. Neben ihm sitzt Natalie Fröschle. Sie hat ihm vorgeschlagen, Samuel Leclerc zu besuchen – den Weinhändler, der sie auf ihn aufmerksam gemacht hat.

„Ich hoffe, Samuel erinnert sich noch an mich“, murmelt Andrzej.

„Natürlich tut er das“, versichert Natalie. „Er hat dir doch erst kürzlich eine E-Mail geschickt, oder nicht?“

Andrzej nickt nachdenklich. „Ja, aber ich habe nicht geantwortet.“

„Vielleicht solltest du das ändern“, schlägt Natalie vor.

Sie erreichen Basel und parken vor Samuels Weinhandlung. „Samuel! Andrzej Poland!“, ruft Samuel laut, als sie die Tür öffnen. „Was für eine Überraschung!“

„Natalie hat mich hergebracht“, erklärt Andrzej. „Sie scheint eine Vorliebe für Überraschungen zu haben.“

Samuel lacht. „Nun, ich bin froh, dass sie es getan hat. Wir müssen reden, Andrzej. Über alte Zeiten und neue Geschäfte. Und natürlich, über Wein.“

Ein letztes Glas in Genf

Andrzej Poland steht am Ufer des Genfersees. Die Sonne geht unter, taucht den Himmel in ein sanftes Rosa und Gold. Neben ihm steht Natalie Fröschle. Sie hat ihm eine letzte Überraschung versprochen.

„Was ist es diesmal?“, fragt er lächelnd.

„Eine E-Mail“, antwortet sie schlicht.

„Eine E-Mail?“, wiederholt er.

„Ja, eine E-Mail, die du schreiben sollst. An dich selbst. Über alles, was du gelernt hast, über alles, was du dir wünschst.“

Andrzej denkt nach. Vielleicht ist es Zeit, etwas zu ändern. Vielleicht ist es Zeit, auf die E-Mails zu antworten, die wirklich zählen.

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