Gilgamesch-Epos oder über Wein und Prosa

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Eine der erstaunlichsten Dichtungen in der Welt der Literatur ist das Gilgamesch-Epos und das nicht nur, weil es sich wahrscheinlich um die älteste Prosadichtung der Welt handelt – entstanden ca. 2400 Jahre vor Christi Geburt in Persien – sondern weil diese Dichtung auch bereits über den Wein berichtet, und zwar in eindeutig positiver Richtung.

Gilgamesch: über die positive Kraft des Weins

Kein Tadel oder Zweifel über die positive Kraft des Weins wird bei Gilgamesch geäußert. Vielmehr wird „Enkidu“, ein menschenähnliches Wesen, durch Erlernen des Weingenusses gebändigt, zivilisiert und befriedet. Auch sind die drei heiligen Lebensmittel der Zeit, neben Brot und Öl, der Wein, in dieser Dichtung aufgeführt. Was waren das für Zeiten, in denen der Wein als Lebensmittel fungierte?

In den Dichtungen der Juden, welche auch zu den echten Weinvölkern gezählt werden müssen, kommt Wein durchaus reichlich vor. Mehrere Hundert Weinerwähnungen kennen die Schriften Juden. Ob es sich um Berichte von Königen, Kundschaftern oder Gleichnisse handelt, praktisch kein Buch kommt ohne den Wein aus. Freilich zeigen die Juden neben der hohen Wertschätzung auch die kritischen Seiten des Weins auf, vor allem in Gestalt übertriebenen Weingenusses.

Die klassischen Griechen und Römer waren gleichfalls dem Wein sehr verbunden. Dass bei der durchaus umfangreicheren Literatur-Produktion so wenig über Prosa bekannt ist, mag seinen Hintergrund darin haben, dass die „Klassiker“ weniger die prosaische – schlichte – Rede bevorzugt haben, sondern für ihre Dichtungen die anspruchsvollere, edle Vers- oder Reimdichtung wählten. Auch die berühmte „Georgica“ („Über den Landbau“) von Publius Maro ist in Reimen verfasst; ebenso die nicht minder berühmte „Georgica“ von Vergil. Desgleichen sind die „Metamorphosen“ des Ovid – die häufig dem Wein huldigen – auch freilich in Reimen aufgeschrieben worden.

Eine Ausnahme bildet Lucius Columella, der in reiner Prosa schreibt. Der gegenüber den Vorerwähnten in etwas jüngerer Zeit lebende Mann, verstorben 70 n. Chr., war allerdings kein ausgesprochener Poet, sondern der erste ernst- und namhafte Agrarschriftsteller überhaupt. Seine „Zwölf Bücher über die Landwirtschaft“ („De re rustica“) – von denen allein die Bücher drei und vier über den Weinbau sich verbreiten – gehörten lange Zeit zu den landwirtschaftlichen Standardwerken. Noch heute werden junge Rebenstecklinge nach der von Columella beschriebenen Methode gesetzt.

Dass nach dem hellen Licht der Klassik von dem „finsteren Mittelalter“ gesprochen wird, hat seinen Grund sicher darin, dass diese Geschichtepoche noch nicht so gründlich erforscht ist, wie es sein sollte. Natürlich erschweren die vielfachen Umbrüche, Kriege, Wanderungen von Völkern und Stämmen die Übersicht.

Lange nach dem Gilgamesch-Epos: der Wein in der Neuzeit

Was in der Neuzeit an Literaturerzeugnissen parat gehalten wird, ist allerdings nicht von schlechten Eltern. Als bedeutendster Roman-Autor der Renaissance-Epoche gilt nach den Ritterromanen das Multitalent Francois Rabelais. Rabelais ist kein Wein-Autor, wiewohl er in Chinon in der Tourraine (Loire-Tal) zur Welt kam, und seine Eltern als reiche Grundbesitzer sicher auch über Weinberge verfügten.

Die Frage kann durch nichts weniger als die häufigen Weinerwähnungen, auch von Rebanlagen, beantwortet werden, denn Rabelais, als Klosterschüler erzogen, schrieb über alles, und war als Student der Jurisprudenz und Medizin weitläufig gebildet. Wein kam immer wieder – praktisch naturläufig – vor.

Lange nach Gilgamesch urteilt Hermann Hesse über den Autor, abgedruckt in seinem bekanntesten Werk „Gargantua und Pantagruel“: „Mag Rabelais‘ Ruf als Zotenreißer, gottloser Spötter und grotesker Dreck-Apotheker noch so schlecht sein, und mag sich bürgerlicher Geschmack mit noch so viel Recht gegen seine oft wahrhaft hanebüchenen Unflätereien empören – es bleibt dennoch wahr, das niemals ein Dichter kraftvoller und trunkener das Leben gepriesen und geliebt hat, als dieser schlimme Rabelais.“

Hesse geht vermutlich etwas zu weit, Rabelais Gottlosigkeit ins Stammbuch zu schreiben. Natürlich parodierte er nicht nur die Blasierten, die Aufgeblasenen, die unersättlich nach Reichtum und Macht strebenden, sondern die Vertreter der Kirche kriegten auch ihr Fett ab, wie er eben für Auswüchse und Missbrauch über geschulte Antennen verfügte. Das galt bei ihm nicht nur für die Religion; er nahm seine „eigenen Fakultäten“, die Jurisprudenz und die Medizin ebenso gründlich auf’s Korn – und spiegelte ebenso allgemein menschliche Schwächen höchst humorvoll wider.

Der Wein ist bei Rabelais kein Sonderthema, sondern er kommt wie selbstverständlich, wie im Frankreich des 15. und 16. Jahrhundert üblich, als Quelle der Fröhlichkeit und angenehmen zur Stillung des Durstes – manchmal auch in maßlosen Übertreibungen – vor. Im 25. Kapitel erfährt der Leser zwischen den satirischen Schmähungen des betrügerischen Bäckerhandwerks von den Rebsorten „Gutedel, Muskateller, Traminer und Riesling“, ein Zeichen dafür, dass Rabelais auch in der Rebsortenkunde auf dem Laufenden war, denn der Riesling wird allgemein als nicht älter als 500 Jahre angesehen und es ist erstaunlich, ihn dazu noch in einer französischen Geschichte erwähnt zu finden.

Wie bei den frühesten deutschen Romanautoren, z. B. Grimmelshausen (Der abenteuerliche Simplizius Simplizissimus) kommt der Wein in den Dichtungen vor, aber nicht isoliert, sondern als lebendiges Faktum, etwa bei einem Gelage oder wenn der Wein gewässert wurde. Er war dann süß oder sauer, dünn oder stark. Differenziertere Geschmacksurteile wurden auch von Rabelais nicht getroffen.

Zum Abschluss seiner Parodie berichtet Rabelais in bekannten Stil der Übertreibung von der „göttlichen Flasche“, die mehrere Bedeutungen hat: „Aller Lug und aller Trug, o Wein, weicht und flieht, hochgöttlicher vor dir.“

Wein als Sujet der Literatur scheint mir ungeeignet zu sein. Ihm eine Hauptrolle zu verschaffen, mag bei Kurzgeschichten noch angehen; beim Roman kann er nur eine Nebenrolle spielen, denn er kann kein Akteur sein. Ob „Merlot-Morde“ oder „Moselblut“, im Zusammenhang mit vergiftetem Wein spielt die „schönste Nebensache der Welt“ eine wenig interessante und erfreuliche Rolle. Aber auch außerhalb von Krimis, erscheinen die Literatur-Produktionen mit spezieller Weinthematik eher gewillkürt.


Bildnachweis: © morguefile.com – sajad232

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