„Die besten Lagen, allen voran der großartige Baiken und die kaum geringeren Gehrn und Wülfen, aber auch noch Nonnenstück, Rothenberg und Langenstück, gehören zum wertvollsten Agrarland der Bundesrepublik Deutschland. Nach Überzeugung vieler Experten ist der Rauenthaler Baiken die bedeutendste Weinlage im ganzen Rheingau …“, so lässt sich Krügers Weinlexikon vernehmen.
Schon Dr. Hamms Weinbuch von 1865 wusste Bescheid: „die Hochgewächse besitzen alle Bestandteile in so harmonischer Zusammenstimmung, dass ihr Geschmack völlig undefinierbar wird; einen Begriff davon kann nur der erlangen, der sie selber kostet. Das besondere Vorrecht der Rheingauer Weine ist aber ihr köstliches, unvergleichbares Bouquet; bei reifen Edelweinen muss dasselbe das Zimmer erfüllen, wenn eine Flasche geöffnet wird …“. Auch Hugh Johnson, der Rauenthal mit vier Sternen – dem Maximum – auszeichnet, weiß um die Besonderheit des Rheingauer Dörfchens: „Erstklassiger Ort mit gehaltvollen würzigen Weinen“.
Der „Rauenthaler Riesling, 2014, fruchtig“ bei Edeka
Da greift man gerne zu, wenn der Name Rauenthal auf dem Weinetikett im Edeka-Markt erscheint, und erst recht, wenn das Etikett ausweist, dass es sich um eine Abfüllung der berühmten Abtei des Klosters Eberbach aus den Hessischen Staatsweingütern handelt, die nicht nur aus dem Filmepos „Der Name der Rose“ bekannt ist.
Das Etikett unter dem staatlichen Adler mit der Umschrift: Kloster Eberbach – Hessische Staatweingüter“ gibt allerdings Rätsel auf. Im Weinregal von Edeka wird ein „Deutscher Qualitätswein“ für 8, 99 € angeboten – jedoch statt der Angabe des erwarteten Prädikats „Kabinett“ findet sich auf dem Etikett der Hinweis „fruchtig“. Bei näherem Hinschauen wird deutlich, dass dieser Wein nicht den für Prädikatswein vorgeschriebenen Mindestalkoholgehalt von 9,5 % erreicht. Aufgrund der erheblichen Menge an zugesetzter Süßreserve kommt die Kreszenz über 8,5 % nicht hinaus. Die Angabe „Kabinett“ für den Jahrgang 2014 fand sich bis vor kurzem in Internetportalen, wurde allerdings inzwischen aus dem Netz genommen.
Zwar ist dieser Wein mit einer amtlichen Prüfnummer versehen, die Verwirrung wird aber auf die Spitze getrieben, indem eine „Erzeugerabfüllung“ der Hessischen Staatsweingüter annonciert wird, die daneben einen weiteren Hinweis zur Herkunft enthält: „abgefüllt in D-07133054“, worunter die Gemeindekennziffer von Langenlonsheim zu verstehen ist. Wer unter „Vinipedia“ zur „Abfüllerangabe“ recherchiert, kann allerdings immer noch nicht zweifelsfrei entscheiden, in welcher Gemeinde der konkrete Wein tatsächlich abgefüllt worden ist. Die telefonische Nachfrage bei den Staatsweingütern ergab, dass von „Abfüllung im Auftrag“ ausgegangen werden kann, zu den Auffälligkeiten des Etiketts vermochten die Staatsweingüter nichts beizutragen.
Eine Frage, die den interessierten Weinliebhaber durchaus interessiert, bleibt jedoch damit unbeantwortet: Kommt der der „Rauensteiner Riesling“ tatsächlich aus Rauenthal oder sonst woher? Natürlich erwartet niemand, einen Wein aus einer Einzellage – Baiken, Gehrn, Wülfen, etc. – zu einem Discounter-Preis; allerdings wäre die Kennzeichnung für die Großlage „Rauenthaler Steinmächer“, deren Weine aus Rauenthal, Martinsthal, Eltville, Walluf, Kiedrich und Wiesbaden stammen dürfen, vermutlich hilfreicher als die schwammige „Herkunftsbezeichnung“ und durchaus nicht ehrenrührig.
Diese Rauenthaler – auch eine liebliche Abfüllung des Rauenthaler Winzervereins aus 2014 (Steinmächer) – verfügten durchaus über ein angenehmes, dezentes Bouquet und klaren Wohlgeschmack. Das Pendel zwischen Säure und Süße schlug allerdings bei beiden etwas zu heftig in Richtung Zucker aus, sodass die Charakterisierung statt auf „fruchtig“ eher auf „zuckrig“ hätte lauten müssen. Die vermutlich bis zur Grenze des Erlaubten ausgedehnte Verwendung von Süßreserve hat aber nicht nur zu dem äußerst dürftigen Alkoholgerüst geführt, sondern auch zu einer Schwächung des Bouquets beigetragen. Tatsächlich duftet Traubensaft nur schwach, während der Alkohol die Düfte beflügelt.
Dass diese „Rauenthaler“ nach ihrer Öffnung mit ihrem Bouquet „das Zimmer erfüllen“, kann man also durchaus nicht sagen. Natürlich kann man es bei dem (überwiegenden) Problem-Jahrgang 2014 auch nicht erwarten. Trotzdem sollten sich Weinliebhaber der Mühe unterziehen, genau zu lesen, was sie auf der Flasche lesen: Großlage oder Einzellage, Alkoholgehalt und Prädikat, haben noch immer ihre Bedeutung, obwohl das Recht zur Weinkennzeichnung offenbar immer mehr zu wünschen übrig lässt.
Auch eine Abfüllung der Staatsweingüter – eines trocken ausgebauten „Baiken“, 2014, konnte nicht überzeugen. Anstatt eines Rieslingbouquets fielen Hefe- und Sauerkrauttöne auf.
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