Die Kernfrage der aktuellen Weinrallye könnte eine rhetorische Frage sein, denn mit den genannten Beispielen für das Auseinanderfallen von Wohlgeschmack und Preis bzw. Wertschätzung eines Weines ist eigentlich schon alles gesagt: Ja, wir kennen alle solche oder ähnliche Beispiele, die im Intro der aktuellen Rallye nur ausschnitthaft dargestellt sind, denn die Palette von Geschmacksempfindung und nicht übereinstimmender Wertschätzung ist breit. Die intensive Mitwirkung von Psychologie muss bejaht werden. Insbesondere spielt eine Rolle, ob der einzelne Proband – seiner Einstellung entsprechend – tatsächlich bei dem Umgang mit einem Wein sich von längerfristigen Erfahrungen, dem Renommée eines Gutes, einer Rebsorte oder berühmten Lage beeinflussen lässt – oder nicht. Beides ist möglich. Ich fasse die Frage zum Thema daher nicht als rhetorisch auf: Es gibt immer auch Menschen, für die der „Geschmack alles“ ist.
Mir erging es mit einem weißen Chateauneuf-du-Pape 1985 solcherart. Dieser Wein war überirdisch gut. Nachdem ich erfuhr, dass an der Rhone auch der Jahrgang 1986 im besten Ruf stand, kaufte ich einige Flaschen der Cave Reflets – und kannte den Wein nicht wieder. Auch nach zwei zeitlich versetzten Proben, war ich ehrlich enttäuscht von diesem CNP. Nachdem ich den Jahrgang 1987 ausgelassen hatte, weil dieser nach Expertenmeinung nicht so gut geraten war, versuchte ich es 1988 wieder mit einem weißen CPN. Und dann noch einmal mit dem gut beleumundeten 1989. Und dann nicht wieder, weil der Wein nachhaltig enttäuschte. Durch Zufall erfuhr ich Jahre später, dass in dem Weingut durch Erbgang verschiedene Parzellen an andere Eigentümer gefallen waren. Seitdem habe ich von Andre Brunel nur noch die obligatorische Probenflasche eingekauft. Auf einen größeren Einkauf komme ich auch nur noch im beschränkten Umfang, denn seiner roter CNP ist nach wie vor phantastisch, mit ebensolchen Preisen.
Ein zweites Beispiel stammt aus Deutschland/Rheinhessen. Hier galt es für eine Probe typische Weine aus allen deutschen Regionen vorzustellen. Dabei galt, dass es sich sowohl um einen Spitzenwein handeln sollte und andererseits um ein Weingut mit alter Tradition. Für Rheinhessen fiel meine Wahl auf den Niersteiner Hipping, von Heyl zu Herrnsheim, Jahrgang 1990. Um es kurz zu sagen: ich war begeistert von diesem Wein, von der Fülle der Fruchtaromen, seinem mineralischen Ton und seiner Spritzigkeit. Eine kleine, aber feine Mousse war zu sehen und zu spüren. Diesen Wein wollte ich für meine Tafel und bestellte später aus einem vermeintlich „guten“ Jahr. Auch diesen Wein erkannte ich nicht wieder. Es bestand keine direkte Enttäuschung, aber die Wiedererkennung war nicht gegeben, und damit ließ mein Interesse mehr und mehr nach und verlor sich später ganz.
Der Chateauneuf und der Riesling aus Rheinhessen waren Weine von besonderem Ruf, und sie hatten auch ihren Preis. Trotzdem gerieten sie mehr oder weniger in Vergessenheit. Vielleicht ist es die Vielzahl von wunderbaren Weinen, die das Interesse für Weine, die einigemal enttäuscht haben, rapide sinken lässt. Außer der Veränderung von Rebanlagen und dem steten Wechsel der Weinjahrgänge ist wahrscheinlich noch etwas anderes als Psychologie im Spiel. Es geht auch nicht um die Abwandlung einer Fabel von La Fontaine: „Der hungrige Magen (die durstige Kehle) hat keine Ohren“ – natürlich schaffen wir die Voraussetzungen für eine wichtige Probe durch besondere Vorkehrungen was Tageszeit und Einnahme von Mahlzeiten betrifft.
Von den Strukturalisten haben wir gelernt, dass Geschmack etwas Formbares und somit einem beständigen Wandel unterlegen ist. Wir glauben gerne, dass sich der allgemeine Weingeschmack in Deutschland geändert hat – etwa von süßlich zu trocken. Diese veränderten Geschmacksvorstellungen vollziehen sich nicht schlagartig, sondern in Nuancen bei jedem Einzelnen und von Fall zu Fall.
Größeres Nachdenken, ob es richtiger ist, Weine nach „Renommée“ statt nach Geschmack einzukaufen ist bei mir unterblieben. Wegen eines hohen Preises würde ich keinesfalls einen Wein kaufen – weil einfach nicht stimmt, dass das Teuerste immer auch das Beste ist – geschweige denn kleben bleiben. Auch ausgesprochene Billigproduktionen würde ich ablehnen, weil da die Qualität nicht stimmen kann. Qualität ist aber nicht alles: der Wein muss auch schmecken und das Geschmackserlebnis muss ein Besonderes sein; insofern bin ich ein Vertreter der Richtung „Geschmack ist alles“. Vermutlich ist es so: wenn wir aufhörten nach dem perfekten Geschmack eines Weines zu suchen, dass dies auch das nahe Ende der Weinkultur bedeuten würde.
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